Zuchtwertschätzung: Die Single Step-Verfahren

Fleckvieh mit Kälbern
Das Single-Step Verfahren bringt einige Neuerungen mit sich.

Zehn Jahre nach der Einführung der genomischen Zuchtwertschätzung wird zum April 2021 eine umfassende Weiterentwicklung der gemeinsamen Zuchtwertschätzung von Deutschland, Österreich und Tschechien eingeführt.

Die Einführung der Single Step-Methodik bei allen Merkmalen hebt die Qualität der genomischen Selektion auf eine neue Stufe. Mit diesem Beitrag wollen wir einige Rahmendaten der neuen Verfahren beschreiben und einen Überblick über die daraus ableitbaren Änderungen in den Zuchtwerten geben. Die bisherige genomische Zuchtwertschätzung (ZWS) basiert auf einer Lernstichprobe aus nachkommengeprüften Bullen mit sicheren Zuchtwerten. Sie wird bislang in zwei Stufen durchgeführt. In einer ersten Stufe werden Zuchtwerte ohne Einbeziehung von genomischen Informationen berechnet (sog. konventionelle ZWS). In einer zweiten Stufe werden dann Ergebnisse aus der ersten Stufe mit den Genotypen in der Lernstichprobe in Verbindung gebracht. Mit den hier geschätzten Zusammenhängen werden genomische Zuchtwerte für genotypisierte Tiere abgeleitet, die nicht in der Lernstichprobe enthalten waren (z.B. Jungtiere oder Kühe). Da es sich um zwei klar getrennte Schritte handelt, bezeichnet man die bisherigen Methoden als zweistufige oder Two Step-Verfahren.

Das ändert sich grundlegend in den neuen Single Step-Verfahren, in denen die konventionelle und genomische Schätzung zu einem Verfahren verschmelzen. So können alle genotypisierten Tiere, die Eigen- und Nachkommenleistungen haben, zur Kopplung von Phänotyp- und Genotypinformation genutzt werden. Neben den genotypisierten Besamungsbullen können so die umfangreich vorhandenen genotypisierten Kühe mit ihren Eigenleistungen und auch die in der ZWS einbezogenen genotypisierten Natursprungbullen zu einer genaueren Kopplung beitragen. Da alle Tiere im gemeinsamen Schätzsystem enthalten sind und verwandtschaftlich miteinander in Beziehung stehen, kann die Information auch auf alle Tiere zurückfließen. Im Single Step profitieren demnach auch die untypisierten Tiere von dem Informationszuwachs, was etwa in deutlichen Anstiegen der Zuchtwertsicherheiten untypisierter Mütter mit mehreren typisierten Kälbern sichtbar wird.

Die Single Step-Verfahren sind damit der wichtige Schritt, um die im Rahmen der extensiven Kuhlernstichproben- Projekte FleQS (Bayern), Fo-KUHs (Österreich) und Fleckfficient (Baden- Württemberg) genotypisierten Tiere optimal zu verwerten. Die genotypisierten Tiere mit Phänotypen bilden die Lernstichprobe, die im Single Step nicht mehr klar abgrenzbar ist, denn auch untypisierte Eltern von mehreren Kandidaten tragen mit ihrem Phänotyp zur Schätzung der Genotyp- Phänotyp-Kopplung bei. Der Vergleich mit den bisher klar abgrenzbaren Bullenlernstichprobe im Two Step zeigt schon beeindruckend, wie viel zusätzliche Information in der neuen Zuchtwertschätzung genutzt wird.


Bild Stall
Die Single Step-Verfahren bieten die Möglichkeit, künftig neue Zuchtwerte für Merkmale wie beispielsweise Kälberkrankheiten zu integrieren.

Stärken der neuen Verfahren

Die neuen Verfahren erzielen für alle typisierten Tiere höhere Zuchtwert- Sicherheiten, da nun wesentlich mehr Information für die Vorhersage genutzt wird. Besonders profitieren die Bullen, von denen teilweise hunderte genotypisierte Töchter mit Leistungen vorliegen, mit ihren Nachfahren. Die genotypisierten Töchter ermöglichen zum einen genauere Zuchtwerte, zum anderen aber auch eine genauere Beschreibung ihrer Erbgutabschnitte (Haplotypen) hinsichtlich der züchterischen Wertigkeit, die wiederum in allen Nachkommen auch besser bewertet werden kann. Aber auch alle anderen genotypisierten Tiere, die diese Haplotypen tragen, profitieren von der zusätzlichen Information der großen Anzahl genotypisierter Töchter. Das hat zur Folge, dass der Informationszuwachs nicht auf eine Bullenfamilie beschränkt bleibt, sondern Auswirkungen auf fast die gesamte typisierte Fleckviehpopulation hat. Das macht es freilich im Einzelfall
schwierig, den Ursprung von Zuchtwertänderungen nachzuvollziehen. Für direkte Gesundheitsmerkmale (frühe Fruchtbarkeitsstörungen, Zysten und Mastitis) gab es bisher noch keine Genomzuchtwerte, da noch zu wenige Altbullen ausreichende Töchterinformation aufwiesen. Die direkte Berücksichtigung von typisierten Kühen auf Betrieben mit Gesundheitsdatenerfassung im genomischen Zuchtwertschätzsystem macht es nun möglich, Single Step-Zuchtwerte für diese Merkmale anzubieten.

Bulle Hansa
Hansa ist einer der Gewinner der Umstellung auf die Single Step-Verfahren: Er legt im GZW 13 Punkte zu.

Abseits von Single Step

Die Umstellung auf die Single Step-Verfahren ist ein Meilenstein in der ZWS, aber nicht die einzige wichtige Änderung beim April-Schätztermin. Ein völlig neues ZWS-Verfahren bei der Nutzungsdauer, die Umstellung auf eine Kuhbasis und weitere Anpassungen wirken sich merklich auf die Zuchtwerte aus. Folgende Änderungen gibt es zusätzlich zu Single Step:

• Bei der Sicherheit der Milchzuchtwerte wird ab sofort die Sicherheit des Milchwerts (MW) veröffentlicht, und nicht wie bisher die Sicherheit für die Fettmenge. Das hat, zusätzlich zur Auswirkung von Single Step, generell höhere Sicherheiten bei der Milch zur Folge.

• Bei der Fleisch-ZWS wurde die Anzahl der definierten Merkmale von zehn auf fünf reduziert. Es geht dabei um vorwiegend ältere Stationsdaten, die weggelassen wurden und ohnehin wenig Information für die aktuelle Population liefern. Die wichtigen Schlachtdaten der Jungbullen und die Kördaten aus Deutschland bilden jetzt die Grundlage der ZWS, die nunmehr für die Rassen Fleckvieh und Braunvieh separat durchgeführt wird.

• Bei der ZWS für Fruchtbarkeit und Kalbeverlauf werden nurmehr Daten ab dem Jahr 2000 (statt 1990) genutzt.

• Die sogenannte Basis der Zuchtwerte wurde von einer Bullenbasis auf eine Kuhbasis umgestellt. Die Basis stellt in der ZWS den Bezugspunkt für die geschätzten Zuchtwerte dar. Das bedeutet, dass diese Tiergruppe im Durchschnitt bei allen Relativzuchtwerten (GZW, MW usw.) auf 100 bzw. bei den Milchmerkmalen auf Null gesetzt werden. Diese Bezugsbasis wird bei jeder ZWS aktualisiert, also um ca. vier Monate nachgerückt (gleitende Basis). Beim Fleckvieh waren das bisher die acht bis zehn Jahre alten Bullen, und nun sind es die vier bis sechs Jahre alten Kühe. Die Umstellung auf die Kuhbasis führt dazu, dass der GZW und der MW um +1,9 bzw. um +2,7 Punkte und der Zuchtwert für Milchleistung um 112 kg gestiegen sind. Für die Zukunft bedeutet das, dass die Abschreibungder Zuchtwerte von einer Schätzung zur nächsten etwas geringer ausfallen wird als bisher.

• Die größte Umstellung neben Single Step ist das völlig neue ZWS-Verfahren bei der Nutzungsdauer. Hier wird das bisherige Modell der Lebensdaueranalyse durch ein komplett neues ZWS-Verfahren ersetzt. In der neuen ZWS wird die Nutzungsdauer einer Kuh bis zur 7. Abkalbung in insgesamt neun Abschnitte unterteilt (drei in der 1. Laktation, zwei in der 2. und jeweils ein Abschnitt in den späteren Laktationen). In jedem Abschnitt wird unterschieden, ob die Kuh diesen überlebt hat oder nicht. Die Erblichkeiten betragen etwa 11 % beim Fleckvieh und 13 % bei Brown Swiss, und damit haben sie eine ähnliche Größenordnung wie bisher. Mit dem neuen Abschnitts- Tiermodell können jetzt auch Zuchtwerte für Kühe direkt geschätzt und eine Umstellung auf das Single Step-Verfahren umgesetzt werden. Zur Erhöhung der Sicherheit des Nutzungsdauer-Zuchtwertes wird der reine ND-Zuchtwert mit Exterieurmerkmalen kombiniert, die einen genetischen Zusammenhang zur Nutzungsdauer aufweisen. Als wichtigste Hilfsmerkmale werden hier Euter- und Fundamentzuchtwerte (positiv korreliert), aber auch der Rahmen (negativ korreliert) herangezogen. Die so ergänzte Nutzungsdauer fließt in den Gesamtzuchtwert ein und wird künftig ohne die zusätzliche Kombination weiterer Fitnessmerkmale veröffentlicht. Der bisher bereits festgestellte positive genetische Trend in der Nutzungsdauer wird durch das neue ZWS-Verfahren bestätigt beziehungsweise ist noch geringfügig positiver als bisher. Für die Merkmale Leistungssteigerung und Persistenz wurde die Entwicklung der Single Step-Verfahren zunächst noch zurückgestellt, und es wird wie bisher die Two Step-Methode angewendet.

Johannes Wolf
Johannes Wolf ist bei CRV für den Bereich Fleckviehzucht verantwortlich. Das Single Step-Verfahren hält er für eine gute Unterstützung bei der Selektion von effizienten und gesunden Kühen.

Bittere Pille für Züchter

Umstellungen in der ZWS sind zwar immer eine bittere Pille für Züchter, aber für die Zucht markieren sie einen großen Schritt vorwärts. Die Einführung von Single Step stellt in der ZWS eine der massivsten Umstellungen der letzten Jahrzehnte dar. Zuchtwertänderungen betreffen verstärkt junge Jahrgänge und können sehr wohl zehn Zuchtwertpunkte und mehr betragen. Da praktisch jedes Merkmal von der Umstellung betroffen ist, sind die Auswirkungen auf den Gesamtzuchtwert ganz erheblich. Die Single Step-Verfahren haben mit der Einführung bei den Exterieurmerkmalen bereits im August 2019 Einzug in die Fleckviehzucht gehalten. Die jetzige komplette Umstellung wird von den großen Kuh-Genotypisierungsprojekten FleQS in Bayern, Fleckfficient in Baden-Württemberg und FoKUHs in Österreich begleitet. Die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand, der Zucht- und Besamungsorganisationen, aber auch die aktive Mitwirkung der an den Projekten beteiligten Betriebe resultiert in einer neuen Qualität bei der Bearbeitung von Gesundheitsmerkmalen und den bisherigen Kernmerkmalen in der Fleckviehzucht. Die Single Step-ZWS verwertet die hier gewonnenen wertvollen Daten auf optimale Weise und liefert als Ergebnis das züchterische Standardwerkzeug in einer neuen Qualität, was Züchtern und Zuchtorganisationen auch weiterhin eine Selektion auf leistungsstarke, gesunde und robuste Kühe ermöglicht.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich von Dr. R. Emmerling, Dr. C. Edel und Dr. E. Pimentel vom LfL-Institut für Tierzucht für das ZWS-Team DE-AT-CZ verfasst.