Vet facts - Was ist „Wiederkäuergerecht“?

Wiederkäuergerecht

„Wiederkäuergerecht“ soll die Ration sein – das haben wir alle mal gelernt. Und dann kommen eventuell noch so Begriffe wie „Struktur“ dazu, vielleicht sogar „das muss pieksen“. Und schon stehen wir vor einem Problem: Wie misst man „Pieksigkeit“ denn? Und „Struktur“? Geht es hier um NDF? Aber was ist mit den 4 cm, die wir mal gelernt haben, die werden ja von der Laboruntersuchung gar nicht berücksichtigt? Und jetzt die Preisfrage: Woher weiß ich denn, ob meine Ration wiederkäuergerecht ist?

Da hilft nur eins: frag die Kuh! Noch besser: die ganze Herde! Wenn nicht die Herde, wer soll es denn sonst wissen? Denn bekanntermaßen ist Papier geduldig und Menschen neigen dazu, ihre eigenen Meinungen einzubauen. Kühe machen sowas nicht und darum kann man ihr Verhalten „objektiv“ nennen.

Aber beginnen wir am Anfang:

Wiederkäuer - das sind die mit dem Vormagensystem! Das Prinzip ist einzigartig: mithilfe einiger Vormägen, die mit Mikroben aller Art gefüllt sind, werden Fasern verdaut. Im Grunde hat die Kuh die Verdauung damit sehr modern an Subunternehmer übergeben und überlässt die Umsetzung des Gefressenen den vielen Bakterien, Viren, Pilzen und Einzellern, die diese Mägen bevölkern. Dafür bietet sie ihren Einwohnern angenehme Wohntemperaturen und eine gleichmäßige Versorgung mit Nahrung. Sollte in diesem Fermenter mal ein Gas entstehen, wird es einfach abgerülpst. Andere Pflanzenfressende Fluchttiere, wie beispielweise Pferde, haben im Falle von Verdauungsgas-Entstehung in ihrem Fermenter, dem Dickdarm, das Problem, dass diese Gase weder vor noch zurück auf dem kurzen Dienstweg raus können.

Das Prinzip des Wiederkäuens ist so effizient, dass sich auf allen Kontinenten viele Spezies zu den Wiederkäuern rechnen lassen – denken wir einmal an unsere Wildwiederkäuer wie Rehe und Gämsen, oder die Giraffen und Antilopen Afrikas. Kamelartige sind ursprünglich keine Wiederkäuer, haben sich das Prinzip im Laufe der Entwicklung aber sozusagen „abgeguckt“. Kurioserweise wird sogar bei Nasenaffen diskutiert, ob ihr Magensystem sich mit Wiederkäuern vergleichen lässt. Es gibt viele unterschiedliche Wiederkäuer. Bei den Pferdeartigen hört es nach Esel und Zebra allerdings auf. Die Verdauung mittels Mikroben im Vormagen-Fermenter der Wiederkäuer ist mit einem Augenzwinkern also wohl die bessere! Aber das war uns Rinderhaltern natürlich eh klar.

Die Schlussfolgerung ist keine neue: Wir füttern nicht die Kuh, sondern den Pansen. Die Mikroben müssen es guthaben, dann verdauen sie am besten. Und bilden dann indirekt die beste Nahrung für die Kuh. Geht es um „wiederkäuergerecht“, sind also die Mikroben angesprochen – und die sind äußerst langweilig und konservativ.

Checkliste

1. Es muss immer alles gleich sein, Änderungen mögen sie gar nicht. Das bedeutet, die Ration darf unter keinen Umständen sortierbar sein. Hier unbedingt prüfen, ob sie es wirklich nicht ist! Auch wenn man es nicht vermutet, ist das häufig ein Denkfehler.

2. Kann eine Kuh Kraftfutter und Mais zuerst fressen, tut sie es auch. Selbst wenn der pH-Wert im Pansen durch die kurzkettigen Fettsäuren nur ein wenig sinkt: es reicht, um einige Mikroben zu töten. Die sind dann eben nicht mehr da, wenn die Kuh bei der nächsten Mahlzeit das Gras und Stroh frisst, was sie beim letzten Mal übriggelassen hatte.

3. Futter muss in vielen kleinen Portionen gut gekautes (Speichel!) im Pansen ankommen: eine gesunde Kuh frisst ca. 10-12x täglich eine kleine Menge. Lahmheiten (auch so ein menschlicher Fehler: wir übersehen 60-75% der Lahmheiten!) müssen behoben werden! Sonst frisst die Kuh 3-5x täglich eine größere Menge. Dasselbe passiert, wenn (typischerweise nachts) das Futter nicht erreichbar ist, dann ist der Hunger morgens größer.

4. Es muss fein zerkleinert bei den Mikroben ankommen: die Kuh muss 12 Stunden am Tag liegend (!) wiederkauen – im Stehen kann sie auch kauen, das ist aber leider nicht so effektiv. Also muss es für eine wiederkäuergerechte Fütterung der Mikroben auch ausreichend gemütliche Liegeflächen geben.

5. Wasser zieht. Wer viel säuft, der frisst auch viel (Bauernregel!). Für eine gute Verteilung der Futterpartikel im Pansen, und damit eine Mikroben-gerechte Verteilung der Nährstoffe, braucht es ausreichend Wasser. Wie immer gilt hier auch: wenn es einfach ist, wird es auch gemacht. Falls die Kuh also noch irgendwas (womöglich kaltes) mit ihrer Nase drücken muss, wird sicher nicht so viel gesoffen, als wenn es eine freie stehende Wasserfläche gibt, wo sie einfach ihr Maul eintunken kann. Es müssen also Trogtränken zu Verfügung stehen. Pro Tier braucht es 10cm Breite und pro 20 Kühe eine Tränke. Auch eine Bauernregel.

6. Kein Stress! Bei Stress zirkuliert das Hormon Cortisol in der Kuh – Fluchtbereitschaft fürs Überleben, verdaut wird später. Cortisol hemmt die Vormagenmotorik, der Pansen bewegt sich weniger und das ist nicht wiederkäuergerecht. Hier reichen unterschwellige Werte und leider lässt sich so ein ruhiges Tier doch durch vieles stressen: Hitze und Rangordnung, Treiben (Melken!) und Klauenpflege, aber auch Lahmheiten (!) und Wassermangel (10cm pro Nase!).

Fazit

Kurz gesagt: wiederkäuergerecht ist, wenn wir die Mikroben so wenig wie möglich bei ihrer Arbeit stören. Und dazu gehört die lange Liste siehe oben, und das was wir doch auch alle sonst noch so auf dem Zettel haben. Jetzt aber bitte nicht verzweifeln, denn auch kleine Verbesserungen (hier 5% und da 5% sind zusammen schon 10%) helfen sichtbar! Die erleichtern uns dann aber am Ende den Arbeitsablauf. Und hier hilft nur ehrlich mit sich selbst zu sein, denn wir Menschen machen nun mal gerne den Gedankenfehler „ach das läuft doch eigentlich gar nicht so schlecht“. Und weil wir nicht wissen, was wir zuerst machen sollen, machen wir gar nichts. Also: eine Kleinigkeit raussuchen und machen. Ist doch ein Anfang!