Vet facts - Fremdkörper: Ein Gastbeitrag von Lena Lindau

Gastbeitrag Lena Lindau

Unser Blog Vet facts ist aus der Praxis für die Praxis und soll für einen regen Austausch in einer praxisnahen Community sorgen. Umso mehr freuen wir uns, wenn wir andere Tierärzt:innen motivieren können einen Beitrag für uns zu verfassen. Heute mit Tierärztin Lena Lindau.

Vorstellung

Hallo, ich bin Lena Lindau, Tierärztin für Kühe. Momentan bin ich noch 35 Jahre alt (ändert sich bald schon wieder…), verheiratet, eine Tochter und eine Dackelhündin. Ich bin seit 10 Jahren Tierärztin und war bis auf einen kurzen Ausflug in die Futtermittelindustrie (was auch gut war!) immer in der Rinderpraxis tätig. Zeitweise auch in eigener Praxis. Mittlerweile bin ich auf einem Schlachthof als amtliche Tierärztin tätig, was zugegeben spannender ist, als ich gedacht hätte. In meiner Freizeit verbringe ich natürlich viel Zeit mit Kind und Hund, gehe auf die Jagd und hacke gerne Holz für unseren Ofen. Aber kommen wir nun zum eigentlichen Thema: Fremdkörper.

Lena Lindau
Lena Lindau

Fremdkörper - Was ist zu tun?

„Vielleicht hat sie ja einen Fremdkörper.“ Der Satz, den Tierärzte sagen, wenn sie sonst nichts finden können, richtig? Oder ist das nur ein unberechtigtes Vorurteil? Von beidem steckt ein bisschen Wahrheit drin, von daher schauen wir uns das Ganze mal genauer an.

Fakt ist: Von allen Tieren sind Kühe am häufigsten von Fremdkörpererkrankungen betroffen. Das liegt zum einen daran, dass sie sehr schnell große Mengen Futter aufnehmen, ohne dieses ausgiebig zu kauen. Erst einmal runter damit, die Feinarbeit wird später vom Pansen und beim Wiederkauen erledigt. Daher bemerken Kühe oft gar nicht, dass etwas mit abgeschluckt wird, was vielleicht kein Gras oder keine Silage ist. Zum anderen haben Kühe eine stark verhornte Zunge und Maulschleimhaut, so dass sie Fremdkörper meist auch gar nicht spüren und somit auch nicht ausspucken. Etwa 90% aller Fremdkörper sind Nägel, Drahtstücke, Schrauben und ähnliches. Also spitze, relativ schwere Partikel, die am Ausgang der Speiseröhre einfach in den Netzmagen fallen und dort ihr Unheil anrichten. Der Netzmagen hat eine wabenartige (bzw. netzartige) Schleimhautstruktur, in der sich die Fremdkörper richtig schön fangen können. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die starke Kontraktion des Netzmagens. Eigentlich eine sehr sinnvolle Funktion, da der „Schwung“ der Kontraktion gebraucht wird, um die gröberen Futterpartikel über eine hohe Schleimhautfalte zurück in den Pansen zur weiteren Zerkleinerung zu schicken. Ist jedoch ein Fremdkörper vorhanden wird dieser durch das kräftige Zusammenziehen des Magens unter Umständen richtig fies durch die Magenwand gedrückt und kann von dort aus anderen Organen verletzen. Häufig betroffen sind davon das Zwerchfell, da es direkt am Netzmagen anliegt, die Leber, die Lunge und das Herz. Das kann von leichten Entzündungen über einzelne abgekapselte Abszesse bis hin zu ausgedehnten, auch lebensbedrohlichen, manchmal eitrigen Entzündungen führen.

Genauso unterschiedlich wie die betroffenen Organe und das Ausmaß der Verletzungen sind auch die Symptome: Von leichtem Unwohlsein und verringerter Futteraufnahme für ein paar Tage, über Lungenentzündungen, Verdauungsprobleme und wechselnder Körpertemperatur bis hin zu schweren Blutvergiftungen, Herzproblemen, vereiterten Körperhöhlen usw. ist alles dabei. Das Problem: Die Diagnostik. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen und Befunden, die auf einen Fremdkörper hinweisen. Beweisend ist aber immer nur der eindeutige Fund eines Fremdkörpers. Oder anders ausgedrückt: Nur weil einige Tests positiv sind, heißt es nicht, dass auch ein Fremdkörper da ist und nur weil kein Test positiv ist, heißt es nicht, dass kein Fremdkörper da ist. Nur wenn man zum Beispiel das Glück hat im Ultraschall des Netzmagens einen Fremdkörper zu sehen oder in einer Operation einen Fremdkörper aus dem Magen zu holen, dann weiß man, was Sache ist. In allen anderen, also in der meisten Fällen ist und bleibt es eine Verdachtsdiagnose, die durch bestimmte Befunde etwas erhärtet werden kann.

Unbefriedigend? Ja sehr. Auch für den Tierarzt! Aber nicht zu ändern. Daher noch ein paar Zahlen und Fakten: Laut Studien werden bei 10 % aller Schlachtkörper Fremdkörper oder die Folgen davon gefunden. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, da es durchaus auch Fälle gibt, in denen Fremdkörpererkrankungen folgenlos ausheilen. Das ist also gar nicht so wenig. Bei der Durchführung der sogenannten Fremdkörper-Proben (Rückengriff, Stabprobe, Schmerzperkussion) zeigten in einer Studie nur 58 % der Tiere mit sicher nachgewiesenem Fremdkörper bei mindestens einer Probe eine Reaktion. 42 % der Kühe sagen bei diesen Untersuchungen also gar nichts. Auch Untersuchungen, wie die Messung von Fibrinogen und der Glutaraldehyd-Test zeigen zwar sehr zuverlässig Entzündungen im Körper an, aber davon weiß ich halt leider immer noch nicht, woher die Entzündung kommt… Als Unterstützung also gut, eindeutig jedoch nicht.

Was denn also nun tun? Ganz einfach: Wenn der Verdacht auf einen Fremdkörper besteht, versuchen, die Diagnose durch die verschiedenen Untersuchungen einzugrenzen, Käfigmagnet rein, Entzündungshemmer dazu, abwarten, Tee trinken und je nach persönlicher Vorliebe hoffen oder beten. Mehr geht leider nicht. Bzw. bei Fieber abwägen, ob ein Antibiotikum Sinn macht. Der Tierarzt kann da sicherlich weiterhelfen. Manchmal tut noch drenchen ganz gut. Je nach Prognose, Wert des Tieres und persönlichem Engagement kann in hartnäckigen Fällen eine Operation Sinn machen, um den Fremdkörper händisch zu entfernen. Denn längst nicht jeder Fremdkörper ist magnetisch (zerhäckselte Bierdosen, der Klassiker…) und selbst wenn, ist es möglich, dass zum Beispiel ein Stück Draht so fest in der Magenwand steckt, dass der Magnet es nicht gezogen bekommt. Kann lebensrettend sein so einen OP. Der häufigste Weg führt jedoch irgendwann zum Schlachthof und dann meist wegen der fehlenden Milchleistung, des vor-sich-hin-kränkelns, schlechter Fruchtbarkeit usw. Also wegen der Folgen, selten wegen der Diagnose Fremdkörper. Wenn man dann Glück hat, erfährt man wenigstens im Nachgang noch was los war. Ansonsten bleibt die Diagnose immerhin noch ein Bestandteil der Statistik. Und mit den doch erschreckend hohe Zahlen an sicheren Fremdkörper-Erkrankungen erscheint die Diagnose aus dem Mund des Tierarztes dann doch ganz plausibel und die paar Euro für den Magneten und ein Schlückchen Entzündungshemmer sollten definitiv drin sein. Eine frühzeitige Abgangskuh oder die Folgen eines Fremdkörpers sind immer noch deutlich teurer.