Die Strategien zur Tierrettung ergeben sich aus dem natürlichen Verhalten und Sinneswahrnehmungen der Tiere. Rinder und Pferde verhalten sich als Fluchttiere ähnlich und gehen am besten Wege, die sie kennen.
Auch in Erfahrungsberichten von Stallbränden wird immer wieder genannt, dass bei Weidebetrieben die Rinder in der Regel bereits auf der Weide sind, noch bevor die Feuerwehr anrückt, da den Tieren der Weg raus aus dem Stall und auf die Weide vertraut ist. Ist dieser vertraute Ausgang jedoch blockiert, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Rinder einen anderen Ausgang ebenso leicht annehmen: Der Gewöhnungseffekt ist sehr spezifisch. Umso wichtiger ist, dass der vertraute Ausgang frei gehalten wird von Brandlasten und Versperrungen.
Bei den Sinneswahrnehmungen der Rinder ist wichtig zu wissen, dass sie Licht ganz anders wahrnehmen als Menschen. Vor allem Übergänge von Hell auf Dunkel und anders herum werden nur sehr langsam verarbeitet. Die Augen von Rindern sind 5-mal langsamer als von Menschen, wenn sich plötzlich die Lichtverhältnisse ändern (zum Beispiel wenn es im Stall hell und draußen dunkel ist).
Das heißt auch, sie können sich deutlich langsamer auf sich verändernde Lichtverhältnisse einstellen und sind schneller geblendet – beispielsweise von Strahlern der Feuerwehr. Es lohnt sich daher für die Feuerwehr beim Stallbrand, die Routine zu brechen und nachts nicht (nur) das Brandobjekt zu beleuchten, sondern auch die Austriebsfläche, auf die die Herde getrieben werden soll. Erst dadurch ermöglicht man den Tieren, die Austriebsfläche überhaupt als Option wahrzunehmen. Wird der Ausgang des Stalls direkt angeleuchtet, sehen die Tiere erstmal nur eine weiße helle Wand bzw. hinter den Einsatzfahrzeugen und dem Blaulicht nur tiefe Schwärze, wodurch sie lieber im sichtbaren und deswegen als sicher wahrgenommenen Stall bleiben.
Eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen sind am Betrieben direkt umsetzbar, um gegen katastrophale Ereignissen zu schützen, die einen Austrieb der Tiere notwendig machen. Erstens sollte ein Tierrettungskonzept erstellt werden und andererseits mit fachfremden Helfern (z.B. Feuerwehren) über den Umgang mit Tieren im Notfall gesprochen werden. Es ist entscheidend, dass sich BetriebsleiterInnen vorher Gedanken zur Tierrettung machen, um im Ernstfall schnell und zielgerichtet handeln zu können. Die Feuerwehr kann Zeit bei der Erkundung der Einsatzlage einsparen, wenn im Rahmen der Einsatzvorbereitung bereits Lagekenntnis erworben wurde. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Feuerwehr ist für die Erfolgsaussichten einer Tierrettung im Ernstfall wirklich wichtig. In Begehungen lässt sich beispielsweise klären, ob Probleme mit der Löschwasserversorgung erkannt werden, wo Bereitstellungsräume für nachrückende Kräfte gebildet werden können und wie die Stabilität des Stallgebäudes eingeschätzt wird. Insbesondere Nagelplattenbinder-Konstruktionen im Dachwerk sind in einem Brandfall schnell einsturzgefährdet. Die Sammlung derart erhobener Informationen und vor allem der daraus abgeleiteten Erkenntnisse sollten idealerweise in (formlosen) Einsatzplänen niedergeschrieben werden, damit sie allen Führungskräften und nicht nur einem ausgewählten Personenkreis im Einsatz zur Verfügung stehen. Bei der Erstellung solcher Pläne kann ein frei verfügbares Online-Tool helfen (https://pas.3caaa.fr/), womit sich Symbole für Notausgänge, Sammelstellen, Hydranten etc. in einer Google-Maps Karte eintragen lassen. Es ist zu betonen, dass der Personenschutz in jeder Situation Priorität hat. Nach Erkundung der Einsatzlage kann die Entscheidung notwendig sein, keinen Innenangriff und keine aktive Tierrettung zu unternehmen, da das Stallgebäude einsturzgefährdet ist. Es kann auch sein, dass kein Austrieb unternommen werden kann, da freilaufende Tiere z.B. innerorts oder auch mit einer nahen und noch nicht gesperrten Zugtrasse oder Schnellstraße Passanten und Rettungskräfte gefährden würden. Umso wichtiger ist es, diese Gefährdungspotentiale im Vorfeld erkannt und besprochen zu haben. Durch diese Hinweise und Unterstützung soll den Betrieben Mut gemacht werden, sich mit der Thematik des Katastrophenschutzes bei sich zu beschäftigen und Notfallkonzepte zu erstellen, da bereits mit geringem Aufwand viel für den Erfolg der Tierrettung im Ernstfall erreicht werden kann. Durch Fortbildungsveranstaltungen und Übungen kann zudem die Leistungsstärke der Feuerwehren bei Einsätzen am landwirtschaftlichen Betrieb angehoben werden.
Leitfäden, Veröffentlichungen und weitere Infos: https://www.hswt.de/forschung/...
Dr. Florian Diel, florian.diel@hswt.de
Quellen: (Adamczyk et al. 2015). (Grandin 1989). (Ruppert 1985; Pagel 1986). (Corgan et al. 2021) (Phillips 2002). (Grandin 2017)