Die Begeisterung für Zucht steckt uns in den Genen

Binsteiner

Warum der leidenschaftliche Fleckviehzüchter Josef Binsteiner aus dem oberbayerischen Kirchdorf denkt, dass die Kuh immer recht hat, und wie er seinen Familienbetrieb für die Zukunft aufstellt, lesen Sie hier.

Aus Kirchenbüchern geht hervor, dass der „Kagerer Hof“ mindestens schon seit 1738 an diesem Standort von der Familie Binsteiner bewirtschaftet wird. Neben Ackerbau, Wald und einer Photovoltaik-Anlage sind die Kühe das Hauptstandbein des Familienbetriebs.

Betriebsnachfolge

Josef und Franziska Binsteiner haben den Betrieb 2017 von Josefs Eltern übernommen, obwohl Vater Georg und Mutter Irmgard mit Anfang 50 noch keine Altenteiler waren. Diese frühzeitige Betriebsübernahme hatte einen Grund, denn die Hofnachfolger sollten die Investition in einen neuen Stall verantworten. Dann hat man den alten Warmstall verlängert, gespiegelt und zu einem modernen, offenen Kaltstall mit Hubfenstern und Curtains umgebaut. „Mehr Licht, mehr Luft und mehr Platz wirkten sich sofort positiv auf Merkmale wie etwa Fruchtbarkeit und Milchleistung aus. Die Zwischenkalbezeit konnte auf 351 Tage verringert werden.“ Heute sind in dem Stall 97 melkende Kühe untergebracht, zu denen auch fünf Fleckvieh x Rotbunt-Kreuzungstiere (zum Beispiel von Nova PP und Pinkpop PP) zählen. Der Herdendurchschnitt beläuft sich aktuell auf 10 147 kg Milch mit 4,10 % Fett und 3,55 % Eiweiß. Die rund 100 Stück Jungvieh werden auf dem Betrieb großgezogen. Um ihre Betreuung kümmert sich in erster Linie der 57-jährige Georg Binsteiner. In einem früher für die Heutrocknung genutzten 150 m2 -Gebäude befinden sich heute drei Strohboxen für die Abkalber. „Die Damen scheinen sich hier wohl zu fühlen. Die allermeisten Kühe und Färsen kalben problemlos und ohne Hilfe ab“, erzählt Franziska Binsteiner. Das Erstkalbealter liegt bei 23,5 Monaten. Die durchschnittliche Färsenleistung beträgt 8 500 kg.

Stall
Der alte Warmstall wurde 2018 verlängert, gespiegelt und zu einem Kaltstall mit Hubfenstern und Curtains umgebaut. Im Bildhintergrund erheben sich die Alpen.

Nächtliche Runde

Josef Binsteiner pflegt eine ganz persönliche, eher ungewöhnliche Routine. Er liebt die nächtliche Ruhe im Stall und dreht daher dort immer nachts eine letzte Runde, die aus seiner Sicht noch dazu von großem Wert ist. „Ich erkenne Brunsten und bemerke es sofort, wenn Kühe unruhig sind und wenn es gesundheitliche Probleme oder andere Auffälligkeiten gibt“, so der 31-Jährige. Besondere Aufmerksamkeit widmet Josef der nächtlichen Kontrolle der Abkalbeboxen.

Familie Binsteiner
Von links: Josef, Franziska, Irmgard und Georg Binsteiner mit Enkelin Marlene

Überzeugung

Die Kuh hat immer recht – davon ist Josef Binsteiner felsenfest überzeugt. Seiner Ansicht nach nehmen Landwirte sich oft nicht genügend Zeit, um zu verstehen, was einem die Kuh sagen will. Ein Beispiel: Die Färse kommt nach der Abkalbung schlecht in Milch. Das ist womöglich ein Hinweis auf eine Erkrankung im Kälberalter. Oder: Die Kuh ist beim Melken unruhig. Josef hat schon häufiger festgestellt, dass das nicht einfach nur daran liegt, dass die Kuh kitzelig ist, sondern dass sie beispielsweise eine bisher nicht entdeckte Euterentzündung hat oder dass beim Melksystem ein falsches Vakuum eingestellt ist. „In beinahe allen Fällen kann die Kuh nichts dafür; es gibt fast immer eine Ursache für Auffälligkeiten. Man muss nur genau hinsehen und gründlich nachforschen. Dann kann ich gegebenenfalls darauf eingehen oder aber die Ursache verstehen. Bei uns müssen die auffälligen Tiere nicht sofort zum Schlachter.“ Sein Fazit: „Die Kuh hat immer recht, wenn sie irgendwelche Auffälligkeiten zeigt. Ihr Verhalten hat immer einen Grund!“

Arbeitszeitersparnis

Beim Stallumbau haben die Binsteiners sich gegen einen Melkstand ‚von der Stange‘ entschieden. Den mit einem hydraulischen Hubgerüst von Betebe ausgestatteten Melkstand des Typs Doppel 10er Steile Fischgräte verlassen die Kühe bis zu 50 % schneller als den ehemaligen. Die Melktechnik kommt von GEA, und bei den Melkzeugen handelt es sich um Bio-Milker von SilikonForm. Mit dem neuen Melkstand verkürzt sich die tägliche Melkzeit von zuvor 5½ Stunden auf jetzt weniger als 3 Stunden – und das trotz größerer Kuhzahl!

Melksystem Binsteiner
Das durchdachte, sehr individuelle Melksystem verkürzt die Arbeitszeit von Familie Binsteiner im Vergleich zu früher im Schnitt um etwa vier Stunden pro Tag.

Arbeitsteilung

Georg Binsteiner ist für die Jungviehaufzucht und auch für den Wald zuständig. Um den Ackerbau kümmern sich Vater und Sohn gemeinsam. Die Melkarbeit erledigen Franziska oder Irmgard zusammen mit Josef Binsteiner.

Zucht

Zucht ist Josef Binsteiners Leidenschaft. Inspiriert von der Zuchtbegeisterung seiner Großeltern, sieht er in der Zucht den wichtigsten Faktor für Erfolg in der Milchviehhaltung. Der CRV-Besamungstechniker Sepp Obergehrer ist ihm hierbei eine wichtige Stütze. Sepp hat ihm schon frühzeitig empfohlen, sich auf die Hornloszucht einzulassen. „Sepp ist mittlerweile ein Freund des Hauses. Er lebt für seinen Beruf“, unterstreicht Josef. „Nicht zuletzt deshalb vertraue ich seiner fortschrittlichen Beratung. Heute sind 50 % unserer melkenden Kühe hornlos, und 95 % unserer Tiere stammen von genomischen Jungvererbern. Damit liegen wir voll im Markttrend.“ Das Zuchtziel ist die funktionale Kuh mit einem guten Euter und stabilen Fundament, die genügend Milch mit guten Inhaltsstoffen gibt. „Mein Traum ist es, in fünf Jahren eine Abgangsleistung von 35 000 kg zu melken“, sagt Josef „Außerdem will ich zeigen, dass man das auch mit Hornlos-Kühen kann.“ Um diese Vorhaben realisieren zu können, bemüht er sich sehr engagiert darum, die richtigen Vererber zu bekommen. Bei der Anpaarung setzt er auf seine eigenen Kenntnisse und auf die von Sepp Obergehrer. Sein Prinzip: Eine gehörnte Kuh wird in der Regel mit einem guten Hornlos-Bullen besamt. Auf die Hornlos-Kühe werden meistens gehörnte Spitzenbullen eingesetzt. Ausgenommen hiervon sind einige wenige Anpaarungen, bei denen Josef auf reinerbige Hornlos-Nachkommen hofft. Eine ausschließliche Besamung mit Hornlos-Bullen hält Josef Binsteiner nicht für erfolgversprechend, weil deren Zuchtwerte oft noch zu niedrig sind und weil er auf einen zügigen Zuchtfortschritt aus ist. „So sichere ich letztlich auch die genetische Qualität und die Linienbreite“, erklärt der Fleckviehzüchter.
„Außerdem muss ich die Kälber nicht mehr enthornen. Das spart Zeit und verbessert das Tierwohl.“

Kälber Binsteiner
Um die Kälber kümmern sich Irmgard, Franziska und Josef gemeinsam

Zusammenarbeit mit CRV

Aktuell werden auf dem Kagerer Hofdie Hornlos-Bullen Wega Pp, M3 Pp, Mercedes Pp, Medwed PS und Edelpilz Ps eingesetzt. Im konventionellen Bereich nutzt Josef die CRV-Bullen Wundawuzi, Wüstensohn, Warlock, Wintertraum, Virginia, Habsburger, Deluxe und Habanero. „Wir arbeiten schon seit jeher mit CRV zusammen, und die Genetik überzeugt mich. Die Kühe sind fit, spritzig und gesund“, berichtet Binsteiner. Recht stolz ist die Familie Binsteiner auf die Steigerung des Gesamtzuchtwertes ihrer Herde – im Mittel der letzten Jahre waren es gut 7 %. Dabei steht Josef auch in engem Kontakt mit Johannes Wolf, dem CRV-Produktmanager Fleckvieh, der regelmäßig kommt, um Tiere zu begutachten und typisieren zu lassen. Weibliche Tiere werden auch über ET genutzt. Der Zuchtbulle Murano Pp stammt vom Kagerer Hof, und weitere könnten folgen. Der Betrieb vermarktet jedes Jahr 20-25 Tiere privat oder über den Zuchtverband – von trächtigen Färsen über Jung- und Altkühe bis hin zu Rindern.

Zukunftswünsche

Für die Zukunft wünscht sich Josef Binsteiner, dass die Politik langfristige Entscheidungen trifft, an denen die Landwirte sich orientieren und ihre Betriebe ausrichten können. „Die größte Herausforderung wird Fläche sein – nicht zuletzt, um die Gülle ausbringen zu können. Ich würde sehr gerne auch weiterhin effizient Milch produzieren, Fleckvieh züchten und unseren Betrieb dann an die nächste Generation übergeben können.“ Womöglich hat Töchterchen Marlene ja auch das Züchter-Gen geerbt, denn Josefs Großmutter, die auf dem Hof seines Onkels lebt, schaut auch heute noch dem dort zuständigen CRV-Besamungstechniker Toni Wöhrl bei der Arbeit zu, achtet genau auf die Bullenauswahl und diskutiert fleißig über die eingesetzten Bullen. Bei der Familie Binsteiner scheint die Zuchtleidenschaft tief und fest in den Genen verankert zu sein.

Luftbild Binsteiner
Der Betrieb Binsteiner von oben